Ein Schneeturm mit Wendeltreppe

Unser bisher größtes Bauwerk aus Schnee

Zu Beginn des Jahres 1982 war das Wetter mal wieder gnädig und lieferte ausreichend Schnee für ein schon lange geplantes Vorhaben. Es sollte ein Schneeturm mit einer Wendeltreppe entstehen. Das war der erste Bau aus Schnee, für den ich vorher schon richtige Pläne hatte.
Im Vorjahr hatten wir schon erste Erfahrungen mit einem Schneeturm gesammelt. Damals fragten wir unseren Vater, wie hoch der Turm werden dürfe, worauf es hieß: So hoch wie ihr ihn bauen wollt. Bei einer Höhe von gut vier Metern kam dann allerdings der Rückzieher und damit das Ende für diesen Turm. Diese Entscheidung war aber nicht verkehrt, denn bei einem Durchmesser von nur 170 cm ist eine Höhe von gut vier Metern schon nicht mehr ganz ungefährlich.

Im Vordertaunus, wo diese Schneetürme entstanden, kann man zum Bau sinnvollerweise eigentlich nur auf Pappschnee zurückgreifen. Zudem muß man sich Gedanken machen, wo man den Schnee in ausreichender Menge herbekommt. Bei uns war das relativ einfach, weil in ca. 200 m Entfernung vom Haus meiner Eltern ein recht großer Parkplatz war, der im Winter nur sehr wenig benutzt wurde, so daß man dort viel Schnee finden konnte. Dadurch reichten sogar Neuschneehöhen von nur wenigen cm aus, um weiterzubauen. Wir schoben den Schnee einfach zusammen, preßten ihn in normalen Wassereimern zu eimerförmigen "Steinen" und transportierten diese mit Schubkarren zu meinen Eltern in den Garten. Als Werkzeug waren also für den Bau zwei Wassereimer, ein großer Schneeschieber und ein bis zwei Schubkarren erforderlich. Alles weitere war reine Handarbeit.
Der neue Turm sollte so gebaut sein, daß bei vier Metern noch keine Probleme auftreten. Zur Verbesserung der Stabilität sollte auch hier ein massiver Sockel als Basis dienen. Dieser Sockel wurde ca. 1,70 m hoch ausgeführt. Dabei bauten wir eine einfache Außenmauer aus unseren "Steinen", füllten diese mit losem Schnee auf, den wir anschließend feststampften.
Dadurch wird der Sockel der stabilste Teil des gesamten Turmes. Er ist so fest und schwer, daß keinerlei Gefahr besteht, daß er abrutschen könnte. Der Turm war mit einem Druchmesser von 2,5 m geplant und wurde auch so ausgeführt. Das war eine einfache Rechnung: Die zwei Außenwände mit je 50 cm Stärke, je 50 cm für die Treppe und in der Mitte ein Pfeiler von ebenfalls 50 cm Stärke. 50 cm entspricht genau zwei längs hintereinander liegenden "Steinen". So entsteht der Turm aus einer äußeren Mauer und zwei Bögen zur Unterstützung der Stufen. Der Bogen liegt außen und innen jeweils einen "Stein" tief auf. Daraus ergibt sich automatisch der Außendurchmesser von 2,5 m, wenn man 50 cm für die Treppenbreite annimmt.
Bis zum Beginn der Treppe besteht der Turm nur aus relativ wenigen "Steinen" und großen Schneemengen für die Innenfüllung. Ab dieser Höhe besteht der gesamte Turm praktisch nur noch aus "Steinen" und etwas Schnee oder zerbrochenen "Steinen" zum Auffüllen der Zwischenräume. Der massive Sockel konnte trotzt seiner ungeheuren Masse in relativ kurzer Zeit errichtet werden, weil viele Leute halfen. Wir waren teilweise sogar zu neunt. Die Schneemenge wird deutlich, wenn man sich klarmacht, daß der Sockel ein Volumen von mehr als acht Kubikmetern hat.
Der Treppenteil ist längst nicht mehr so schwer, weil er einerseits viel Hohlraum für die Treppe aufweist und andererseits nur aus mit der Hand in die Eimer gestopftem Schnee besteht, der eine deutlich geringere Dichte als der festgestampfte Sockel hat.
Der Teil des Turmes mit der Treppe wurde fast ausschließlich von drei Leuten gebaut: einem Freund, meinem Bruder und mir. Wir arbeiteten mehrer Tage ab dem Nachmittag mit einer Pause für das Abendessen bis etwa 22 Uhr in der Nacht. Wir hatten Glück, daß das Wetter hielt und wir den Turm so bis auf gut vier Meter bringen konnten. Dann kam Frost und beendete den Bau. Wir wären aber nie so weit gekommen, wenn kein Frost angekündigt worden wäre, denn man will schon ein paar Tage Freude am Ergebnis haben, wenn man so viel Arbeit investiert.
Die Möglichkeit einer Wendeltreppe mag manchen Leuten als sehr kompliziert vorkommen, doch grundsätzlich ist der Bau ganz einfach und die Stabilität reicht auf alle Fälle aus. Man baut jeweils einen Bogen zwischen der innerern Säule und der Innenseite der Außenwand. Wichtig ist dabei, daß der Bogen nicht an der Wand und der Säule ansetzt sondern in der Wand und in der Säule. Dabei hilft die konische Form der Schneesteine.
Die Bögen sind zwar so klein, daß die Konizität direkt nicht ausreicht, doch läßt sich der Schnee sehr leicht anpassen. Die Bögen werden so angelegt, daß sie sich wendelförmig um die innere Säule nach oben winden. Praktisch besteht die innere Säule nur aus den Bogenansätzen für die Treppenbögen. Sind die Bögen erst fertig, kann man leicht auf deren Oberseite die Stufen aufsetzen. Zur Verbesserung der Haltbarkeit der Stufenkante habe ich jeweils dort ein Stück Dachlatte eingebaut. Diese Maßnahme hat sich allerdings als überflüssig herausgestellt. Die Stufen sind für den zeitlich befristeten Gebrauch durchaus stabil genug.
Irgendwann ging natürlich auch dieser Turm den Weg alles Vergänglichen. Während der Frosttage nagte nur die Sonne an ihm. Unsere Erfahrungen mit der Sonne waren übrigens mit ein Grund, warum die Außenmauern so dick ausgeführt wurden. Trotz Dauerfrostes kann die Sonne an der Südseite bis zu fünf cm Schnee pro Tag kosten. Das hängt stark davon ab, wie stark der Schnee verunreinigt ist. Sauberer Schnee hält deutlich länger.
Als es wärmer wurde, war schon bald die Treppe nicht mehr benutzbar, doch der Sockel erlebte auch noch den nächsten Schnee.
Der letzte Rest sollte erst drei Monate nach Baubeginn verschwinden. Zurück blieb nur der Dreck aus dem Schnee und eine Rasenfläche, die nicht mehr eben war. Dafür war der Turm doch etwas zu schwer geraten.
Bis heute war dieser Turm das mit Abstand größte Bauwerk aus Schnee, an das wir uns je gewagt hatten.
Man muß schon sagen, wir hatten damals Glück, daß der Turm so groß wurde. Heute wäre das am gleichen Ort nicht mehr möglich. Es gibt nicht mehr ausreichend Schnee, und der Parkplatz wird vermehrt genutz. Zudem ist der Parkplatz heute so mit Laub und Dreck bedeckt, daß sich der Schnee von dort nicht mehr zum Bauen eignet. Allerdings hätten wir heute auch längst nicht mehr so viel Zeit, wie wir sie damals als Schüler gehabt hatten. Eigentlich schade.


Letzte Änderung: 25.08.00. © Jörg Butterfaß
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